Plastische Systeme
          Doppelhof & Idylle

 







 

Einladung Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen/Rhein Donnerstag, 27.Febuar 1997
Ausstellung: " Dieter Lahme - Plastische Systeme"

"Lahmes künstlerische Konzeption negiert die Eindeutigkeit, sie postuliert vielmehr eine ästhetische Polyvalenz, die nicht von einer, sondern von mehreren Wirklichkeiten berichten will. Sie versteht sich gleichermaßen als eine Reflexion über das Absolute und das Relative. Sie stellt der Absolutheit einer vorgegebenen Struktur die Mannigfaltigkeit ihrer möglichen Erscheinungsformen entgegen. Und so ist letztlich alles eine Frage der Perspektive- einer Perspektive, die nicht nur eine Wahrheit kennt, sondern eine Vielzahl von Wirklichkeiten bereithält"

Dr. Richard W. Gassen

   
 

Rhein-Neckar-Zeitung   FEUILLETON   Donnerstag, 10.April 1997
Bild: Plastisches System "Doppelhof"

Bei Berührung - Kunst

Dieter Lahmes "Plastische Systeme" im Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen

Auf den ersten Augenblick erinnern Dieter Lahmes Kleinplastiken an Lego-Bausteine. Die perfekt aus Bronze oder Eisen geschnittenen und oft recht ungewöhnlich zusammen geschweißten Recht- oder Vierecke, die Kreisscheiben oder die Dreiecke bilden Grundelemente (Dieter Lahme nennt sie "Kerne"), die nur auf eine bestimmte Art und Weise zusammen gesetzt werden können, um eine Plastik zu ergeben.
Der Zuschauer wird also aufgefordert, die zwei bis vier Körper, die eine Plastik bilden sollen, so zusammen zu setzen, dass sie nicht nur einer gewissen Logik entsprechen - sie ist durch die Form einigermaßen vorgegeben - sondern auch ein Raumgebilde ergeben, in dem Proportionen, Bezüge und Raumdistribution stimmen. So ist es beispielsweise zwar möglich, seine zweiteilige Arbeit "Stück für Ludwigshafen" auf die Kante des Kreissegmentes des einen Teils zu stellen, ohne die "Unterstützung" des anderen Teiles fällt aber dann die Integration eben dieses Elementes in ein schlüssiges Gebilde um so schwerer. Nun lassen sich vermutlich mehr als 70 Kombinationen finden, die beiden Körper zusammen zu stellen. Sind die ersten vier bis fünf Kombinationen leicht, so verlangen die weiteren Zusammensetzungen, dass man sich der vorherigen erinnert und gleichsam an sein eigenes Raumempfinden appelliert, um weiter zu kommen.
Insofern ist der Begriff "Plastische Systeme" absolut gerecht fertigt. Anders als bei einem Lego-Modell muss man aber jenen Punkt (oder jene Fläche) finden, von dem bzw. der aus das System weiter funktionieren kann: Eine additive Bauweise ist hier nicht möglich, bleibt die Zahl der Bausteine doch unveränderlich. Anders gesagt: Wo Lego (in extenso aber auch die Architektur) erlaubt, durch mehr weniger zu erreichen - mehr Bausteine bedeuten fast immer weniger Raum bzw. Raumgefühl-ist es bei Lahme gerade umgekehrt. Die relative Askese, gegeben durch die Zahl der Kerne, zwingt den "Spieler-Zuschauer" dazu, sich genau zu überlegen, welchen Raumeffekt er damit erzielt. Ergo steht die Frage des Raumgefühls. der Proportion und letztendlich der ästhetischen Wirkung im Vordergrund.
In der sehr schönen Installation im Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen sind es - neben seinen fotografischen Arbeiten - eben diese "Plastischen Systeme", auf weißen Sockeln präsentiert, die dazu auffordern, selbst ein "Kunstwerk" zu schaffen. In unserer individualisierten Welt dürfte es schwer fallen, zwei absolut identische Raumgestaltungsmuster zu finden, die mit gleicher ästhetischer Empfindung ausgestattet sind, und eben aus diesem Grund auch ein identisches Gestaltungsmuster der Lahmeschen Objekte.

Wenn also der Künstler dazu auffordert, man solle die Objekte berühren, hat es einen guten Grund - nur dann entsteht für das Individuum ein "Kunstwerk", mit dem er sich identifizieren kann und das ihm nicht qua Anordnung diese Erkenntnis diktiert.
Ist das ein Versuch, die Kunst zu demokratisieren? Ja und nein. Ja, weil es jedem ermöglicht, ein künstlerisches Psychogramm zu zeichnen, in dem er jene Konstellationen findet, die seinen räumlichen und ästhetischen Empfindungen entsprechen. Nein, weil sie jedem vor Augen führt, dass die angebliche Leichtigkeit, die man am Anfang spürt, sehr rasch zu einer schweißtreibenden Angelegenheit wird, weil es ungemein schwierig ist, sowohl einen Raum für sich zu definieren wie auch sich selber in einem Raum zu definieren.

Angenehm fällt auf, dass der 1938 geborene - und seit 1960 in Mannheim lebende - Künstler kein schwerfälliges pädagogisch-ästhetisches Geschütz auffährt, um seine Arbeiten zu rechtfertigen; er bietet nur Systeme an, die es auszuprobieren gilt. Möglicherweise passiert hier - in bezug auf die globale Verunsicherung hinsichtlich des Kunstbegriffs im 21. Jahrhundert - eine kleine Revolution, die den Kunstbegriff per sein Zukunft definieren würde: als Angebot zur Teilnahme, die ermöglicht, das Ich auch in einer ästhetischen Dimension zu erfahren. Bekanntlich bleiben Propheten im eigenen Land unerhört.

Milan Chlumsky

   
 

Mannheimer Morgen    KULTUR   Freitag. 28.Februar 1997
Bild: Plastisches System  "Doppelhof"

Fummeln, das einzig wahre Tor zur Wirklichkeit

Dieter Lahmes "Plastische Systeme" werden im Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen ausgestellt (Auszug)

...Wenn es dann ans Werk geht, stellen die eigenen Finger unversehens Tortenstücke, Häuschen. Vorplätze, kühne Tempelkonstruktionen, Raketen-Abschussbasen oder Schleusenanlagen her.
Mancher Benutzer hat den Drang, die Teile luftig in die Höhe zu stecken mit viel Durchblick und offenen Formen, ein anderer ist nur dann glücklich, wenn er einen geschlossenen, kompakten Block gebaut hat. Wieder andere  dürften geradezu erotische Elemente entdecken in den vielen Gelegenheiten, Positiv-Negativ-Formen ineinander zu fügen.
Kunstwerke, die nicht als einsame Gipfel  von Kreativität bewundert werden wollen, sondern die Kreativität des Benutzers heraus fordern, sind seit Joseph Beuys und den Avantgardekünstlern der sechziger Jahre nicht nur selten geworden, sondern fast verschwunden. Dieter Lahme weiß nur zu gut um das Gewicht, das sie dem wachsenden Einfluss elektronischer Medien und unserem schwindenden Bewusstsein für Wirklichkeit entgegen setzen können
Seine "Plastischen Systeme" lassen sich eben nicht mit einem Mausklick und in Form flimmernder Lichtimpulse bespielen, sondern man muss lernen, sie zu be"greifen", man muss hinlagen, das Material in der Hand fühlen, Schwerpunkte abwägen und ausprobieren, was hält, was zusammen passt oder was einander abstößt. Fummeln ist das halbe Leben, nein, mehr noch:
der einzige Zugang zur Wirklichkeit.

Christel Heybrock

   
 

   

 

 
 

Plastisches System "Stück Für Ludwigshafen"