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Rheinische Post DÜSSELDORFER FEUILLETON Januar 2000
Arbeiten von Dieter Lahme in der Galerie Swetec
Vollendet unfertig
"Haus und Vorgarten" verrät der Titel der kleinformatigen Eisenskulptur auf
dem schwarzen Sockel. Doch diese Assoziationen sucht man vergebens in dem
verschachtelten Gebilde aus geometrischen Formen, das eher an die
Bauklötzchentürme der Kindheit erinnert: Quader, Zylinder und Polygone aus
angelaufenem, zerkratztem Metall mit grob gesägten Schnittflächen, an einigen
Stellen notdürftig zusammengeschweißt.
Ebenfalls vergebens sucht man die Gesetze einer höheren Ordnung, die das
Kunstwerk von der Zufälligkeit abhebt. Variabilität und Willkür spricht aus der
gesamten Komposition, die das gegenständliche Motiv meidet, um offenes
Formsystem werden zu können. Die grobe Materialbehandlung lässt den Formenstapel
unfertig erscheinen. Wie Halbzeug sieht er aus, als habe er das Stadium einer
Vorform noch nicht überwunden.
Der summarische Aufbau der Skulptur und die unfertige Erscheinung verhindern den
Charakter des Kunstwerks. Die Skulptur möchte als Gebrauchsgegenstand gesehen
werden, deren Vollendung in die Zukunft gelegt ist. Wer aber darf es vollenden,
wenn nicht der Künstler selbst? Dieses Privileg ist dem Betrachter überlassen.
Verstohlenes Zugreifen
Die Skulpturen des 62-jährigen Mannheimer Künstlers Dieter Lahme lassen sich
nämlich in handliche Einzelteile zerlegen - das "Haus mit Vorgarten" gleich in
vier unterschiedliche Elemente, von denen jedes selbst wieder ein eigenständiges
Formsystem ergibt. Die Teile sind Kombinationen der beiden im Titel angedeuteten
Grundformen. Das Fünfeck als Hausform ist allgemein geläufig und schon in jeder
Kinderzeichnung zu finden. Eine rechteckige Platte beschreibt die Form des
Vorgartens.
Erst greift man verstohlen zu, denn dies "aktive Kunstanschauung" ist ungewohnt.
Doch was unfertig aussieht, will vollendet werden, und so zerlegt und stapelt
man neu, schiebt ineinander und erobert den Raum.
Während des Spiels offenbart sich die geniale Präzision der Idee. Die
Variabilität der vier Teile zu immer neuen Gebilden ist erstaunlich, als
entwerfe Dieter Lahme seine Bausätze nach Regeln der Wahrscheinlichkeitstheorie.
Er scheint stets der höchstmöglichen Kombinierbarkeit auf der Spur zu sein, um
dem Betrachter das Gefühl zu geben, selbst kreativ zu werden.
Es wäre jedoch ein Trugschluss, davon auszugehen, dass der Künstler die
Vollendung des Werks abgebe, denn alle Variationen sind von ihn vorbestimmt. Die
Begrenzung der Teile auf eine überschaubare Zahl und die individuelle Formwahl
steuern ganz gezielt die Möglichkeiten des Betrachters. Das eigentliche
Kunstwerk ist somit nicht die sichtbare Skulptur, sondern die Summe ihrer
Erscheinungen im Spiel......
Kasernenstraße 13. Bis Mitte Januar
2000
Carolin
Ortner-Giertz
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